Reinhold Messner | © Remo Neuhaus
Reinhold Messner bei der Besteigung des Nanga Parbat im Jahr 1978 | © Messner Mountain Heritage GmbH
Schloss Juval im Vinschgau in Südtirol | © Messner Mountain Heritage GmbH
„Wenn Bergsteiger nicht runterfallen, sind sie gesünder als andere...“
Das Lebens-Interview mit Reinhold Messner zu seinem 80. Geburtstag
Reinhold Messner hat das geschafft, was den wenigsten Bergsteigern glückt: nach der aktiven Zeit als Alpinist im Diskurs zu bleiben, zu gestalten, Neues zu schaffen. Nun ist es sein größtes Ziel, den traditionellen Alpinismus nicht sterben zu lassen. Zu seinem 80. Geburtstag gibt sich der streitbare Südtiroler versöhnlich und lässt auch in sein Privatleben blicken. Und spricht ohne Vorbehalte über den Tod.
Ausbruch, Aufbruch, Flucht – wie viel von den drei Motiven steckte in Ihrem bergsteigerischen Tun?
Reinhold Messner: Die Freiheit aufzubrechen, wohin ich will – das ist der Schlüssel in meinem Leben. Die Philosophie dahinter ist aber komplizierter. Man muss heute stark zwischen dem traditionellen Alpinismus unterscheiden, den ich gelebt habe und verteidige, und dem Klettern heute. Das ist reiner Sport geworden. Die alpinen Vereine pflegen dies, damit die Mitgliederzahlen stimmen. Wahrscheinlich klettern heute 90 Prozent ausschließlich in der Halle.
Finden Sie das schlimm?
Nein, Klettern ist ein sehr erfolgreicher Sport und sogar olympisch geworden. Nur hat es nichts mit dem traditionellen Bergsteigen zu tun. Die Leute fangen aber an, das zu vermischen. Die glauben wirklich, dass sie bergsteigen, wenn sie 15 Meter an einer Plastikwand hochklettern. Traditioneller Alpinismus ist aber 250 Jahre alt, also eine junge kulturelle Erscheinung und die Auseinandersetzung Bergnatur – Menschennatur.
Der Reiz des Bergsteigens lag für Sie immer in der archaischen Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur.
Wir gehen dorthin, wo wir umkommen könnten, um nicht umzukommen. Das ist eine Kunst. Wer sagt, wir müssten die Berge so präparieren, dass die Möglichkeit des Todes eigentlich ausgeschlossen wird, der hat nichts verstanden von der Natur und vom Bergsteigen. Man geht ins Gebirge und kommt mit neuen Erfahrungen heraus. Wenn ich die Gefahr – mit welchen Mitteln auch immer – herausnehme, dann wird es ein ganz anderes Tun. Weil das Ganze unnütz ist und man dabei umkommen könnte, schüttelt der Laie den Kopf und denkt sich, die sind doch verrückt. Wenn das Ziel ist, nicht umzukommen, dann brauchen sie doch nur unten zu bleiben! Seit der Erstbesteigung des Matterhorns gibt es diese Diskussion in immer neuen Auflagen und Varianten.
Nicht-Bergsteigern ist die Leidenschaft auch schwer vermittelbar, oder?
Diese „Unnützlichkeit“ bringt in Verbindung mit der Akzeptanz des Todes als möglicher Teil des Bergsteigens eine Absurdität ins Ganze. Dem setzen wir den Sinn entgegen. Wir geben unserem Tun selbst einen Sinn. Und ein starker Sinnstifter kommt weiter als jemand, der etwas nur ein bisschen macht.
Wie ausschlaggebend für Ihre bergsteigerische Karriere war der Impuls, auszubrechen? Sie stammen aus einer Großfamilie im engen Villnösstal, mit acht Geschwistern und einem strengen Vater…
In unserer Familie sind ursprünglich alle geklettert. Wir sind mit den Eltern auf den Berg gegangen, mit dem Vater geklettert. Der ist schon in den 1930er-Jahren in den Geislerspitzen unterwegs gewesen. Wir sind raufgegangen auf die Gipfel, um aus dem engen Tal rauszuschauen, aus Neugierde. Klettern war eine Möglichkeit, der Enge zu entfliehen.
War die Suche nach Gefahr für Sie ein Beweggrund?
Nein, die Gefahr gehört beim Bergsteigen einfach dazu. Mit der Zeit haben sich die Routen in der Länge, der Schwierigkeit und auch der Gefahr gesteigert. Es braucht drei Zutaten, um aus einem Tun ein Abenteuer werden zu lassen: Du musst in die Wildnis gehen, Du musst eigenverantwortlich unterwegs sein und es muss gefährlich sein. Und der Berg ist nun einmal gefährlich. Das Wichtigste am Berg ist die Exposition. Es ist eben ein Riesenunterschied, ob ich 1000 Meter über einem Abgrund klettere oder an einem Boulder zwei Meter über dem Boden.
Sie waren mehrmals dem Tod nahe. Sind Sie über Ihr eigenes Können hinausgegangen?
Nein, bin ich nicht. An den ganz großen Bergen ist die Grenze zwischen Leben und Tod sehr schmal. Ich hatte etwa eine Handvoll Nahtod-Erlebnisse. Die will niemand haben. Aber wenn sie passiert sind, sind sie die stärksten Erfahrungen, die Menschen machen können. Ja, ich hatte ein paar Mal Glück. Insofern kann ich schon sagen, dass ich davor zu weit gegangen bin. Denn wenn ich mein Leben nur auf Glück aufbaue, dann lebe ich nicht lange. Am Nanga Parbat hätten mein Bruder Günther (Anm. d. Red.: starb am 29.7.1970) und ich auch zurückgehen können auf eine Höhe von 7900 Metern. Dann wären wir beide sehr wahrscheinlich lebend zurückgekommen. Aber: Niemand geht 200 Meter unterhalb des Gipfels zurück, nachdem er die höchste Wand der Welt durchstiegen hat.
Bergsteigen, so wie Sie es verstehen, hat viel mit innerer und äußerer Achtsamkeit zu tun. Geht das eine ohne das andere?
Nein. Achtsamkeit heißt, die Natur zu spüren. Bergsteigen ist eine sinnliche Erfahrung, egal ob in großer Höhe oder in den Dolomiten. Der Tastsinn, der Geruchssinn, das Sehen – all dies trägt erst zum Erleben bei. Die besten Verteidiger der Berge sind diejenigen, die solche Erfahrungen selbst machen. Es gibt leider viele Pseudo-Naturschützer, die sagen, man dürfe nicht in die Natur hineingehen. Doch wenn ich die Natur nicht sinnlich erfahre, kann ich sie auch nicht schätzen und verteidigen. Und die sinnliche Erfahrung ist die Voraussetzung dafür, die innere Erfahrung zu machen.
Reinhold Messner unternahm mehr als 500 Klettertouren in den Ostalpen, besonders in den Dolomiten, 1950 bis 1964 | © Messner Mountain Heritage GmbH
Ist Bergsteigen eine Lebensschule im Sinne der Achtsamkeit?
Goethe sagt, die Berge seien die Lehrmeister schlechthin. Im weitesten Sinne ist dies auch richtig. Ich konnte mich im Bergsteigen am besten ausdrücken und habe darin meine Selbstmächtigkeit erreicht. Das ist alles Teil meiner Erfahrung, um zum Hier und Jetzt zu kommen. Wenn ich nun auf 80 Jahre meines Lebens zurückschaue, dann nützt mir das nichts mehr, das ist vorbei. Mein Glück ist, dass ich nach wie vor gestalten kann. Ich kann wählen, wo ich morgen hingehe, ich kann nach wie vor entscheiden und kann mich ausdrücken. Ich lebe im Jetzt beziehungsweise im Morgen. Ich muss meinem Leben einen Sinn geben. Der kann für alle anderen nicht existieren, er muss es nur für mich tun.
Für rationale Menschen ist Bergsteigen nutzlos. Doch es verbindet den Menschen unmittelbar mit der Natur. Müsste sein gesellschaftlicher Stellenwert nicht höher sein?
Wenn die Bergsteiger nicht runterfallen, sind sie gesünder als andere (lacht). Von den besten Bergsteigern aller Generationen sind die Hälfte umgekommen. Das ist ein Fakt, der bis heute gilt.
Sie schreiben in einem Buch: „Wenn wir gesund sind und unseren Platz in der Natur gefunden haben, finden wir diesen auch in der Gesellschaft.“ Was heißt das genau?
Wir sind Teil der Natur. Und in der Natur finden sich alle Gesetzmäßigkeiten. Wenn wir der Natur in uns folgen – im Gebirge bin ich dazu gezwungen –, dann bin ich ein in der Gesellschaft eingebettetes Glied. Die meisten Menschen brauchen dazu Gesetze, etliche nicht. Sie folgen ihren eigenen Naturgesetzen. In meinen Museen wird erzählt, was passiert, wenn Menschennatur auf Bergnatur trifft. Das ist in zehntausenden Titeln niedergeschrieben. Keine andere Disziplin im Sport hat derart viel Literatur hervorgebracht wie der Alpinismus. Auch gute Literatur.
Was bedeutet Freiheit für Sie?
Meine Freiheit, die ich mir genommen habe, ist schwer erkauft. Ich bin trotz Familie und trotz anderer Verpflichtungen dorthin gegangen, wo ich wollte – relativ radikal und ohne nach links und rechts zu schauen. Diese Selbstbestimmung ist mir heute noch heilig. Wenn es Kritik von außen gibt, versuche ich damit umzugehen. Jetzt mit 80 Jahren relativiert sich das. Rückblickend auf mein Leben bin ich fast ausschließlich gegen Widerstände aufgebrochen. Selbst wenn es nur Wissenschaftler waren, die behaupteten, der Everest sei ohne Maske tödlich. Es gab permanent Widerstand in der Bergsteigerszene, Widerstände in der Politik – wie in Südtirol gegen meine Museumsarbeit.
Warum machen Sie immer noch Vortragsreisen?
Ich habe alles abgegeben und besitze eigentlich nichts mehr, auch mein Schloss hier nicht mehr. Ich wollte wieder auf null sein und von daher habe ich eine wirtschaftliche Notwendigkeit, mein Leben zu finanzieren. Auch das Messner Mountain Museum ist eine wirtschaftliche Struktur, ein kleines Unternehmen, das mir aber auch nicht mehr gehört. Mein Start-up heißt Messner Mountain Heritage. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, das traditionelle Bergsteigen weltweit zu erzählen. Es hängt nun davon ab, wie lange ich das noch kann. Auf der Bühne bin ich nur gut, wenn ich wirklich sattelfest bin, mir also alles merken kann. Sobald ich anfange, mein Skript am Teleprompter lesen zu müssen, ist es vorbei.
Brauchen Sie auf der Bühne die Wechselwirkung mit dem Publikum?
Für die Laien brauche ich eine eigene Sprache, damit sie mich verstehen. Das Schlimme ist, dass viele Fachleute – gerade im europäischen Sprachraum – glauben, alles zu wissen. Die Hochnäsigkeit der Szene war immer schon das Problem.
Was ist Ihre Mission bei den Vorträgen?
Lange habe ich es abgelehnt, eine Botschaft zu verkünden. Ich wollte nur Geschichten erzählen. Jetzt erzähle ich diese Geschichten auch, um den Zuhörern klarzumachen, dass es im Alpinismus eine neue Erscheinung gibt, nämlich den Tourismus auf der einen Seite und den reinen Sport auf der anderen. Am Everest ist es Tourismus, in der Kletterhalle Sport. Beides hat mit dem traditionellen Alpinismus nichts zu tun. Letzterer darf aber nicht untergehen. Es darf nicht so weit kommen, dass ein Kind unter einer Kletterwand steht und den Vater fragt: Ist das das, was der Messner gemacht hat? Das hat er nämlich nicht gemacht.
Sie beklagen sich über die Arroganz der Szene. Die hält Ihnen aber das Gleiche vor. Wie erklären Sie sich das?
Die hatten nur ein Problem mit meinem Erfolg…
…also war es Neid?
Vielfach auch. Vielleicht war es auch nur die Verwunderung, dass mein Tun und meine Projekte hintereinander funktioniert haben. Ich hätte ja am Everest scheitern können, und woanders nochmals. Früher reichte eine Geschichte bei Stern oder Bunte, um eine Expedition nahezu vollständig zu bezahlen. Im Nachhinein natürlich, denn vor einem Projekt gab es kein Geld.
Wurde Ihnen die mentale Stärke, die sich für Sie als überlebensnotwendig erwies, bereits in die Wiege gelegt?
Nein, ich denke nicht. Die mentale Stärke wächst mit den Muskeln. Ein Beispiel: Ich hatte in der Schulzeit im Winter mit zwei Seilpartnern die Bonatti-Route am Matterhorn versucht. Wir scheiterten wegen eines Wettersturzes. Zurück im Unterricht wollte mein Deutschlehrer, dass ich vor der Klasse berichte, was vorgefallen war. Ich trennte damals das Bergsteigen strikt vom Rest meines Lebens. Ich hatte Schulkameraden und ich hatte Bergkameraden. Ich lehnte ab, was meinen Lehrer so erzürnte, dass er mich aus Rache durchs Abitur fallen ließ – obwohl ich vorher sein bester Schüler war. Bei der Nachprüfung war es genau wieder so. Ich war kurz zuvor den Walkerpfeiler geklettert, der Lehrer sprach mich auf meine vom Klettern gezeichneten Hände an, ich sagte, dass ihn das nichts angehe. Worauf er mich wieder durchfallen ließ. Mir war der Walkerpfeiler aber wichtiger als das Abitur. Und ich hatte wieder an mentaler Stärke zugelegt. Das Abitur habe ich ein Jahr später absolviert, aber die Schule war mir völlig egal.
Einerseits predigen Sie Demut vor der Natur und den Bergen, andererseits ist die Lust am Streiten ein Wesenszug von Ihnen. Wie passt das zusammen?
Im Herbst erscheint mein Buch mit dem Titel „Gegenwind“. Wer es liest, wird’s dann verstehen. Ich musste mich wehren, sonst wäre ich vernichtet worden. Walter Pause (1907-1988, Journalist, Schriftsteller und Bergsteiger, Anm. d. Red.) hatte zum Beispiel alles darangesetzt, mir meine Möglichkeit zu schreiben zu nehmen. Mit den erfolgreichen Auseinandersetzungen bekam ich auch allmählich Lust zu streiten.
Was regt Sie heute noch richtig auf?
Mein Buch endet damit, dass ich allen Widersachern dafür danke, dass sie ein Leben lang alles ins Feld geführt hatten, was sie konnten. Denn sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin. Man wächst an Widerständen. Jetzt mit bald 80 lasse ich mich aber nicht mehr auf Scharmützel ein.
Sind Sie altersmilde geworden?
Das trifft es sicherlich. Warum soll ich mich noch aufregen? Ich habe noch Aufgaben genug zu lösen.
Nach Jahrzehnten des Unterwegsseins: Ist Familie für Sie im Alter wichtiger geworden?
Ich bin ein Familienmensch, und die Familie war die Basis. Leider ist die zerbröselt. Meine zweite Ehefrau hat mich entsorgt, aus welchen Gründen auch immer. Ich weiß es nicht. Ich lebte alleine weiter und fand dann eine neue Frau, Diane. Wir machen im Prinzip alles zusammen, wir haben auch schon ein gemeinsames Buch veröffentlicht.
Was ist mit Ihren vier Kindern?
Ich habe den großen Fehler gemacht, das Erbe zu früh zu verteilen. Das hat zu Zwietracht geführt. Mein Sohn Simon hatte eine landwirtschaftliche Oberschule besucht, später dann Biologie studiert. Die Voraussetzungen für einen Bergbauern hat er also. Er hat das Gefühl, dass ich ihn ungerecht behandelt habe. Das kann ich jetzt nicht rückgängig machen, ich habe ja noch mehr Kinder. Ich hätte das Erbe erst mit meinem Tod regeln sollen, das wäre viel gescheiter gewesen. So ist es eine undankbare Situation.
Reinhold Messner in den Gängen der Messner Mountain Museen | © Patrick Hürlimann
Ihre älteste Tochter Magdalena ist Leiterin der Messner Mountain Museen…
…ich habe ihr auch den Besitz übertragen. Das Schloss Juval hat die Jüngste bekommen.
Eigentlich ist es doch etwas Schönes, wenn Sie Ihr Erbe zu Lebzeiten weitergeben.
Das habe ich auch gedacht. Aber es war ein Fehler. Ich würde es jedenfalls niemanden raten, weil es zu Spannungen führt.
Sie sind zum dritten Mal verheiratet. Gibt es einen anderen Messner im Privaten, in der Ehe, als den Menschen, den die Öffentlichkeit kennt?
Nein, den gibt es nicht (lacht). Mit den Medien habe ich lange Zeit meine Streitigkeiten ausgefochten. Ich sage heute ganz offen: Der Spiegel ist schlimmer als die Bild. Das ist nachweisbar, jedenfalls bei Sachen, in denen ich mich auskenne. Lange Zeit war er das Leitmedium in Deutschland – verdientermaßen. Nur das ist lange her.
Sie spielen auf die Story mit dem Achttausender-Chronisten Eberhard Jurgalski an, der Ihnen Ihren Gipfelerfolg auf der Annapurna 1985 aberkennen wollte?
Jurgalski sitzt hinterm Schreibtisch und äußert sich zu Gipfelbesteigungen, der Spiegel greift das auf und macht eine Geschichte draus und verwechselt am Ende sogar einen ganzen Gipfel. Es wurde in einer Grafik eingezeichnet, dass ich am Ostgipfel hätte sein müssen. Doch nicht der ist der höchste, sondern der Westgipfel. Jeder Bergsteiger, der oben war, weiß: Der Gipfel ist ein flacher Grat. Mal ist hier eine Wechte höher, mal dort. Der ganze Grat ist im Prinzip ein Gipfel, es geht um maximal fünf Höhenmeter. Der Spiegel aber zeichnete einen Gipfel ein, der einen Kilometer weit vom Hauptgipfel entfernt ist.
Wie halten Sie sich mit 80 fit?
Ich gehe viel bergauf. Klettersteige, leichte Routen mit meiner Frau. Wir gehen auch bald zum Kailash.
Und nach vorne geblickt: Wie wollen Sie mal beerdigt werden?
Am liebsten hätte ich das Himmelsbegräbnis, aber das geht nicht. In Tibet präparieren sie dabei den Leichnam, dann kommen hundert oder mehr Geier. Ich habe so etwas miterlebt und fotografiert. Die Geier nehmen Stücke mit und steigen dann in den Himmel auf. Aber in Italien gibt es seit ein paar Jahren eine Regelung, nach der der Einzelne selbst bestimmen darf, wo seine sterblichen Überreste hingelegt werden – natürlich nicht der Leichnam, der darf nur auf den Friedhof, aber die Asche. Ich habe hier auf Juval einen kleinen Chörten (Kultbau des tibetischen Buddhismus, Anm. d. Red.), den kann jeder sehen, der das Schloss besucht. Grabreden wünsche ich mir nicht. Und keine Todesanzeige in der Tageszeitung Dolomiten (lacht). Das steht in meinem Testament.
Was soll von Ihnen in Erinnerung bleiben?
Dazu gibt es keine Wünsche. Ich habe genug hinterlassen, dass etwas in Erinnerung bleibt. Nach einer bestimmten Zeit wird nichts mehr bleiben. Solange jemand erinnert wird, ist er noch in irgendeiner Form am Leben. Ich bin kein Philosoph. Aber meine Aussage, das traditionelle Bergsteigen als Lebensschule weiterzutragen, ist mein wichtigstes Vermächtnis.
Glauben Sie an einen höheren Sinn, an einen bestimmten Gottesbegriff?
Nein. Der Sinn fällt nicht vom Himmel. Dass es eine Ordnung geben kann, die über das Ganze gestülpt ist, die in uns und in der Natur steckt –, das bestreite ich nicht. Den Sinn liefern wir aber selbst. Wir haben die Fähigkeit und auch die Erlaubnis, vielleicht sogar die Verpflichtung, Sinn zu stiften. Ich habe meinem Bergsteigen einen Sinn gegeben, in den letzten 30 Jahren mit den Museen. Ich habe daraus meine Selbstmächtigkeit gezogen.
Sind Sie froh, den Klimakollaps nicht mehr erleben zu müssen?
Die schönen Jahrzehnte in Europa sind vorbei. Spätestens mit der Pandemie ist uns das klar geworden. Es kam eine allgemeine Verunsicherung auf, die durch die Kriege noch größer geworden ist. Unser Nachbar hatte vor 30 Jahren noch kein Auto, heute stehen sechs vor der Tür. Die Häuser in Südtirol sind fast alle perfekt renoviert, viele neue entstehen. Der Wohlstand ist in der jüngeren Vergangenheit enorm gewachsen. Jetzt müssen wir lernen, dass er weniger wird. Ich bin dankbar, dass ich mich in der schönen Zeit entfalten konnte. Ich sehe, dass die Gletscher seit 30 Jahren schmelzen. Wenn ich auf die Brücke hier vorne gehe, sehe ich, dass große Stücke vom Berg herunterkommen, weil der Permafrost schwindet. Das Klima ist etwas, das sich weltweit in einem chaotischen System verschiebt. Die Ballungszentren als CO2-Emittenten sind dabei das große Problem, die Migration wird eine Folge der sich verschiebenden Klimazonen sein. Ich bin aber kein Freund des Protests auf der Straße. Wenn ich einen Termin habe und fünf Stunden auf der Straße stehe, weil sich drei Aktivisten festgeklebt haben, komme ich nicht nach Hause und denke, wir müssen etwas gegen den Klimawandel tun. Das macht mich eher aggressiv.
Interview: Michael Ruhland, Chefredakteur „Bergsteiger“